Über Facebook, die Jugend und die Frage nach der Qualität

Für viele Kultureinrichtungen ist das Social Web ein Ort, an dem sie glauben, jüngere Menschen erreichen zu können, die Gründe dafür sind bekannt. Gut, die älteren Menschen sind vielleicht gar nicht so alt und gebrechlich, wie wir immer glauben, aber das ist ein anderes Thema. Wie aber erreiche ich Jugend, die 15, 20 oder 25 Jahre alt ist? Auf den Webseiten der Kultureinrichtungen schauen sie selten oder gar nicht vorbei, mit Twitter kennen wir uns selber nicht aus – aber diese Plattform nutzen sie auch gar nicht, wie man so hört – und auf Facebook löschen sie massenhaft ihre Accounts, um in irgendwelchen dubiosen Messengerangeboten wie Snapchat zu verschwinden.

Wobei: Ein paar scheinen ja doch noch auf Facebook zu sein, aber für die Facebookseiten der Hochkultur interessieren sie sich eher weniger. Wohl mehr für so etwas:

Das ist Mohamed Sartiane, die FAZ hat ihm vor zwei Tagen unter der Überschrift „Ein Mann legt Dortmund lahm“ sogar einen ganzen Artikel gewidmet. Der junge Mann ist 18 Jahre alt und macht dieses Jahr laut Artikel sein Abitur. Wäre das jetzt nicht jemand, für den sich die Kultureinrichtungen interessieren sollten? Doch halt, nein, der macht ja so komische Videos, so etwas wollen wir nicht. Und mit wir meine ich nicht nur die Kultureinrichtungen, sondern die „Erwachsenen“, deren Kommentare unter dem FAZ-Artikel zeigen, was wir von dieser Jugend halten. Es handelt sich um einen „selbstverliebten Hansel“, dessen Postings sich durch die „Abwesenheit  von Grammatik und fehlender Zeichensetzung“ auszeichnen und der sich die Frage stellen sollte, warum er überhaupt Abitur machen will?

Das Problem: Mohamed Sartiane hat das geschafft, was viele Kultureinrichtungen gerne hätten: Viele, viele Fans und jede Menge Interaktion auf seiner Facebookseite. Tritt er wie in diesem Fall in Dortmund auf, muss die Polizei einschreiten, um nicht die Kontrolle über das Geschehen zu verlieren. Aber Moment, wollen wir wirklich so sein? Schließlich können wir hier schon das Ende unserer Gesellschaft beziehungsweise deren Kultur erahnen und sollten uns jetzt mit der Frage beschäftigen, wie wir sie wieder auf den richtigen Weg bringen?

„Hat die heutige Generation Jugendlicher eigentlich nichts besseres zu tun als in solch eine Einkaufsstraße zu gehen und einen neuen Facebook-Messias zu lobpreisen? Kein Wunder, dass die Generation sich selbst als ‚dumm‘ ansieht, wenn sie nicht über Kunst & Kultur Bescheid weiß“,

schreibt ein Leser, der von „spätpubertären Einfallspinseln“ spricht, die in ihrem Leben nichts schaffen werden. Solche Sätze bekamen wir als Jugendliche vor Jahrzehnten auch schon zu hören, die Welt steht immer noch, belassen wir es dabei.

Was aber macht einen achtzehnjährigen Schüler zum Facebookstar, dessen Postings „atemberaubend talentfrei“ seien, wie die Autorin des FAZ-Artikels schreibt. Womit wir bei der Qualität wären, in diesem Fall verstanden als Maßstab für die Güte dessen, worüber wir sprechen. Was zeichnet ihn aus? Er selbst führt seinen Erfolg auf sein Showtalent und die Fähigkeit, die Themen anzusprechen, die seine Generation gerade bewegt, zurück:

„Ich mache immer Videos zu Themen, wo die Menschen sagen können: ‚Das kenn ich auch!’“

wird er zitiert und weist damit etwas vor, das dem Kunst- und Kulturbetrieb zu fehlen scheint: die Menschen ansprechen zu können, sie mitzunehmen. Das auch deshalb, weil es im, so die Autorin, gelänge, „Banales mit vermeintlicher Bedeutung aufzuladen“. Ich würde es nicht so abschätzig formulieren, sondern eher von einer Kunst sprechen, Bilder aus unserem alltäglichen Leben zu verwenden und sie mit einer Bedeutung aufzuladen, die sie ursprünglich gar nicht haben. Politik und Werbung machen uns das  tagtäglich vor, insofern könnte man jetzt auch sagen, Sartiane hat sich als gelehriger Schüler erwiesen. Showtalent, ein Gespür für die Themen und die (Bilder)-Sprache, das zeichnet ihn aus und macht ihn zum Star. Unterstützt wird er durch Selbstaufschaukelungsprozesse, die im digitalen Raum besonders gut funktionieren.

Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder ziehen wir uns beleidigt zurück, beklagen den allgemeinen Werte- und Qualitätsverlust und erinnern uns wehmütig an längst vergangene Zeiten, in denen die Welt noch in Ordnung war. Das wirkt wenig glaubhaft, wurde nicht ähnlich argumentiert, als da plötzlich junge Menschen mit langen Haaren auf die Bühne drängten und begannen, laute Musik zu spielen. Wobei dann gleich die Frage folgte, ob das denn überhaupt Musik sei?

Oder wir schauen uns mal genauer an, welche Themen Mohamed Satiane in seinen Videos anspricht und wie er es schafft, so viele Menschen damit zu erreichen. Eigentlich sind das genau die beiden Punkte, wo die meisten Kultureinrichtungen nicht weiterwissen. Wie wäre es denn, ihn mal einzuladen und mit ihm genau darüber zu sprechen? Vielleicht können Kunst und Kultur von ihm lernen? Und dann können wir immer noch darüber diskutieren, was Qualität ist und was nicht. Vielleicht ist er für die Hochkultur ja noch nicht verloren? ;-)


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7 Antworten zu „Über Facebook, die Jugend und die Frage nach der Qualität“

  1. Hi,

    guter Artikel, der das, was ich auf Facebook unter deinem Post angedeutet habe, nochmal ausführlich beschreibt: Dieser Mann macht schon was richtig, sonst hätte er keine 500k Fans. Außer wir sagen: Facebook ist eine böse Zaubermaschine, und dieser junge Mann hat zu unrecht so viele Fans :-)

    Ich habe noch eine Anmerkung in Sachen Kultur und Kulturbetriebe zu machen, da du ja auch diese ansprechen willst.
    Ganz am Sende bringst du es fast auf den Punkt, wenn du sagst:

    „Vielleicht ist er für die Hochkultur ja noch nicht verloren?“

    Ich würde ja sagen: Eine Hochkultur, die wir meinen zu haben – zumindest jene, die da so herablassend in der FAZ kommentiert – ist vom aussterben bedroht, sobald sie beginnt zu zementieren.
    Und in diesem Fall würde ich behaupten, ist das auch gar nicht schlimm. Nicht wegen dem, was danach kommt, sondern wegen der Art wie sich die sogenannte Hochkultur darstellt: arrogant und uneinfühlsam. Dann soll sie auch weg.

    Oder aber – und das ist das was du ebenso richtig ansprichst – die Kultur erneuert sich. Das bedeutet: Sie nimmt Qualitäten hinzu, die ihnen zunächst nicht wichtig erschienen. Und müssen dafür aber etwas opfern. Zunächst. Das Ergebniss ist, wie bei allen kulturellen Entwicklungen, unvorhersehbar. Aber zumindest wurde der Versuch unternommen die Kultur zu erneuern.
    Nur eine Gesellschaft, die das schafft, wird auch fortbestehen kennen.
    Alles andere stirbt aus.

    Darum ist dein Vorschlag Momo einzuladen, eine ganz hervorragende Idee. Denn nur dadurch lässt sich retten, was schon vor ihm da war.

    Danke für den Input!

  2. Danke für Deinen ausführlichen Kommentar! Ich denke auch, dass wir uns nicht auf Positionen zurückziehen können, die irgendwann in der Vergangenheit mal sinnvoll waren. Das Rad dreht sich weiter und wer das nicht bemerkt und darauf eingeht, wird nicht mitfahren können.

    Und jetzt warten wir mal ab, ob eine Kultureinrichtung das Gespräch mit ihm sucht. ;-)

  3. Ein sehr schöner Artikel! An mir war Mohamed Sartiane bisher zwar völlig vorbeigegangen (ich fühle mich jetzt irgendwie alt!), aber die sofort ablehnende Haltung besonders aus Kultureinrichtungen kenne ich gut. Es wird befürchtet, das Niveau würde gesenkt werden, wenn man ein breiteres Publikum ansprechen will. Dabei dachte ich immer, die ursprüngliche Hauptaufgabe von Kultureinrichtungen war, Kultur zu bewahren, zu zeigen / vermitteln und ihre aktuelle Entwicklung zu dokumentieren. Auch Jugendkultur auf Facebook ist Kultur.
    Viele Grüße,
    Marlene

  4. Ich kannte ihn bis vorgestern auch nicht, den FAZ-Artikel hätte ich vermutlich gelesen und dann ad acta gelegt, wenn nicht die Kommentare darunter gewesen wären. Interessant übrigens, dass man nicht mehr kommentieren darf. ich weiß allerdings nicht, ob das generell bei der FAZ nach ein paar tagen so ist oder nur in diesem Fall.

    Und ja, ich betrachte das, was wir auf Facebook sehen, hören und lesen können, auch als Teil unserer Kultur. Insofern wäre es wichtig, sich als Kultureinrichtung damit zu beschäftigen.

  5. Ich finde es sehr ignorant, einen so erfolgreichen „Jungen“ als “selbstverliebten Hansel” zu betiteln. Hier stellt sich sofort die Frage, wer selbstverliebt ist? Bedeutet Selbstliebe nicht auch, dass nicht über den Tellerrand des gewohnten geschaut wird?

    1. Stimmt, diese Bewertung sagt eigentlich alles…

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