Was das Internet von der Kunst lernen kann

Erst vor ein paar Tagen wurde angekündigt, dass das Brockhaus-Lexikon zukünftig nur noch online erscheinen werde. Auch ich stellte in einem Blogeintrag die Frage nach der Zukunft der Bücher und sah diese darin gar nicht so negativ. Denn, und das ist auch heute noch meine Meinung, der große alte Brockhaus genießt hinsichtlich seiner Qualität großes Vertrauen und das könnte zum Beispiel gegenüber Wikipedia ein nicht zu unterschätzender Vorteil sein.

Und auf dieses Vertrauen müssen wir setzen, wenn wir die Informationsflut im Internet bewältigen wollen. Alleine werden wir es wohl nicht schaffen, schließlich geht es ja nicht nur darum; Informationen zu sammeln, sondern Wissen daraus zu konstruieren. Robert Freund hat das vor längerer Zeit in einem Blogeintrag recht schön erklärt:

„Wissen wird konstruiert und setzt sich aus Informationen zusammen, die mit den eigenen Erfahrungen (individuelles Wissen) oder den organisationalen Erfahrungen (organisationales Wissen) verknüpft (konstruiert) werden.“

Welche Informationen sind es aber, aus denen wir Wissen konstruieren können? Wie wissen wir, welche Informationen die richtigen sind? Wer unterstützt uns dabei?

Steve Rubel hat sich mit dieser Frage beschäftigt. In einem Beitrag auf seinem Blog Micro Persuasion schlägt er in Anlehnung an den Kunst- und Kulturbereich den digitalen Kurator vor, denn:

„Museum curators, like web users, are faced with choices. They can’t put every work of art in a museum. They acquire pieces that fit within the tone, direction and – above all – the purpose of the institution. They travel the corners of the world looking for „finds.“ Then, once located, clean them up and make sure they are presentable and offer the patron a high quality experience.“

Rubel weiter:

„Much the same, the digital realm too needs curators. Information overload makes it difficult to separate junk from art. It requires a certain finesse and expertise – a fine tuned, perhaps trained eye.“

Google oder Angebote wie digg können diese Aufgabe nicht erfüllen, für Rubel handelt es sich lediglich um Aggregatoren, nicht um Kuratoren.

Der Vergleich mit dem Ausstellungsbereich gefällt mir recht gut, zeigt er doch, dass das Problem der Informationsmenge nicht ganz so neu ist wie wir heute glauben. Natürlich ist die Menge rein rechnerisch größer als das, was wir in der Vorzeit des Internets zu bewältigen hatten. Aber das Problem war das gleiche: Wir mussten eine Auswahl treffen und dafür bedienten wir uns im Fall von Ausstellungen der KuratorInnen, die uns beispielsweise den Blick auf einen Ausschnitt der Kunst einer bestimmten Epoche eröffneten.

Mich erinnert dieser Ansatz an ein Grundprinzip des NLP, nach dem wir zwischen der Landkarte und dem Gebiet unterscheiden müssen. Es war Alfred Korzybski, der das Prinzip „Die Landkarte ist nicht das Gebiet“ formulierte. Wir sehen also immer nur einen Ausschnitt und Gatekeeper wie AusstellungskuratorInnen unterstützen uns dabei.

Mir fällt in diesem Zusammenhang der Theaterkritiker Benjamin Henrichs ein, der viele Jahre für die ZEIT schrieb und für mich so eine Art Gatekeeper war. Was er gut fand, gefiel mir in der Regel auch und so orientierte ich mich jahrelang an dem, was er an Theaterstücken aussuchte. Natürlich gewann er mich auch deshalb, weil er neben der Liebe zum Theater auch ein großer Sportfan war. Wer wissen will, was ich meine, muss nur seinen Artikel „Sport essen Seele auf“ lesen.

Der Titel, der an Fassbinder erinnert und die Schilderung des Daviscupmatches zwischen Deutschland und den USA auf dem Höhepunkt der Beckermania 1985 haben mich schon damals fasziniert, auch wenn es in diesem Fall nicht um Theater ging. Fein, dass die ZEIT die alten Jahrgänge online zugänglich gemacht hat.

Aber zurück zu den digital curators. Steve Rubel ist davon überzeugt, dass ihre Zeit kommen wird:

„As content universe expands and floods niches, there will always be a market for Digital Curators. The key for brands, individuals and media companies will be to identify those niches where they have deep expertise and to become the best in the world at serving them. I guarantee if you do this well and consistently, your long-term success is essentially guaranteed. And even if you do not have the energy to become a curator, you will certainly be influenced them.“

Es ist also nicht so, dass wir den anderen Branchen hinterherhinken, sondern es ist der Kunst- und Kulturbereich, der als Vorbild dient. Gar nicht schlecht für eine „Branche“, von der man immer verlangt, dass sie sich an die „Wirklichkeit“ anpassen müsse.


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12 Antworten zu „Was das Internet von der Kunst lernen kann“

  1. Das ist schon eine interessante Analogie, die da zwischen Kunst und Internet gezogen wird. So sehr ich die Kuratoren in Museen wertschätze, so sehr fehlt mir die Vorstellung, wie dieses Konzept rein praktisch auf das Internet übertragen werden soll.

    Zudem gibt es einen elementaren Unterschied: Ein Museumskurator kann sich auf „altes“ Wissen stützen, er operiert meist in einem genau abgrenzten Gebiet mit Bezug zur Vergangenheit. Der Internetkurator würde aber ganz überwiegend mit „neuem“ Wissen operieren und sich auf Feldern bewegen, die noch stark im Fluss sind.

  2. Matthias, ein Kurator überlegt sich vereinfacht gesagt eine Fragestellung, unter der er KünstlerInnen oder ein spezielles Thema behandeln und ausstellen möchte. So ähnlich gehen wir eigentlich auch vor, wenn wir einen Blogbeitrag schreiben. Da gibt es das große Themenfeld und wir suchen uns einen kleinen Ausschnitt raus, stellen ihn aus unserer Sichtweise dar und werfen Fragen auf.

    Ob „neu“ oder „alt“ spielt keine Rolle. Ich kann eine Ausstellung über zeitgenössische Kunst kuratieren und bringe eine Sichtweise ein, die dem aktuellen Status Quo entspricht und kurz darauf völlig anders aussehen kann. Und selbst vergangene Epochen werden heute anders wahrgenommen als vor zwanzig oder dreißig Jahren. Insofern ist selbst die Vergangenheit „im Fluss“.

    Wichtig ist für mich, dass es im Internet oder der Kunst unendlich viel zu entdecken gibt. Es gibt niemanden, der da den Überblick hat. Also werde ich versuchen, mir ein Bild zu machen und das geht am besten, wenn ich mich an anderen orientiere. Was ist in deren Augen wichtig? Wie sehen die das? Und so weiter…
    Ich kann nun deren Position oder Sichtweise übernehmen oder ich entwickle mit Hilfe dieser Personen, die sich mit einem Thema beschäftigen, meine eigene Sichtweise. Und werde unter Umständen, so ich beginne, meine Sichtweise zu kommunizieren, selbst zu einem, im Fall des Internets, digitalen Kurator.

  3. So gesehen ist schon jeder Blogger, dessen Blog ich regelmässig lese, ein digitaler Kurator. Ein Teil der Kuratoren-Arbeit könnte künftig aber auch von semantischer Softare übernommen werden.

  4. Eigentlich schon, Matthias. Wobei man das natürlich in einem unterschiedlichen Ausmaß sein kann.

    Bei der semantischen Software bin ich mir nicht so sicher, denn im Endeffekt ist sie, wenn ich das richtig verstanden habe, nur dazu in der Lage, Informationen entsprechend unseren Wünschen zu verknüpfen. Der Ansatz dürfte aber immer noch ein hauptsächlich quantitativer sein, oder? Dem Kurator geht es eher nicht um die Quantität, sondern um die Qualität. Und zwar um seine individuelle. Diese Individualität geht der Software natürlich auch ab. Aber wie gesagt, bei der semantischen Software kenne ich mich nicht so wirklich aus.

  5. Semantische Software wird auch auf der qualitativen Ebene helfen können: Sie kann nämlich heute schon ziemlich zuverlässig Texte zu einem relevanten Thema aus einer Menge beliebiger Texte herausfinden.

    Verknüpft man nun diese Fähigkeit mit zusätzlichen Komponenten, wie etwa der Technorati-Authority oder dem Google-Pagerank, könnte eine solche Software Neues anzeigen und dabei nur wichtige und als zuverlässig eingestufte Quellen berücksichtigen.

    Diesem Ansatz folgen wohl schon Unternehmen, wenn es auch noch keine Angebote am Markt gibt. Twine geht meines Erachtens in diese Richtung, ist aber noch nicht offen für die Allgemeinheit.

  6. Sie kann mir auf alle Fälle helfen, Matthias, Du hast völlig Recht. Aber isiehst Du nicht auch einen Unterschied zwischen so einer Software und einem Kurator? Die Software kann immer nur das liefern, was Du von ihr willst. Sie verknüpft das, was Du ihr quasi vorgibst.

    Der Kurator liefert Dir unter Umständen „Überraschungen“, also Dinge, wo Du noch gar keinen Zusammenhang gesehen hast. Ein Beispiel: Ich habe vor mehr als einem Jahr über Miha Pogacnik geschrieben. Er war für mich jemand, der verschiedene Dinge, nämlich Musik und Management, neu zusammengesetzt hat und etwas Neues daraus hat entstehen lassen.

    Ich hätte nicht danach suchen können, denn mir war sein Ansatz, beide Bereiche so zu verknüpfen, neu. Stößt da die semantische Software an ihre Grenzen? Du kennst Dich da sicher besser aus als ich.

  7. […] wichtigsten und interessantesten Informationen zu bestimmten Themen finden. Der Begriff des “digital curator” gefällt mir in dieser Hinsicht sehr […]

  8. […] kleiner Nachtrag: eben habe ich übrigens noch einen Artikel beim Kulturmanagement Blog gefunden, der auch auf Rubel und den digitalen Kurator eingeht. Dort wurde überlegt, was das […]

  9. […] noch bei den Kuratoren. Ganz im Gegenteil: ich habe schon vor längerer Zeit einen Beitrag (”Was das Internet von der Kunst lernen kann“) geschrieben, in dem ich die Meinung vertreten habe, dass die Kuratoren eher an Bedeutung […]

  10. […] hat in diesem Zusammenhang von den digitalen Kuratoren gesprochen (siehe dazu mein Blogpost: “Was das Internet von der Kunst lernen kann“), die diejenigen sind, die für uns die Informationen […]

  11. […] weil ich ja durch meine Kriterien die Auswahl einschränke. Hier würde dann wieder die Stunde der digitalen Kuratoren schlagen, die sich aus der Menge an Angeboten einige herauspicken und sie den UserInnen empfehlen. […]

  12. […] kuratorische Kompetenz (sagt man das so?) fehlt uns im digitalen Raum, auch heute noch („Was das Internet von der Kunst lernen kann„). Darin sehe ich die große Chance für die Kultureinrichtungen. Dafür ist es aber notwendig, […]

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